Polit-Frühschoppen der SPD zum Thema: Love Parade 2010 – Folgen für die Sicherheit in unseren Städten“
Eines will niemand: Jedes Risiko einer Großveranstaltung wie der Gevelsberger Kirmes dadurch ausschalten, dass diese Veranstaltung gar nicht erst stattfindet. Dennoch, seit den Todesfällen der Duisburger Love-Parade gehen die Sicherheits-Uhren in Deutschland genauer, wird das Einhalten der seit 1989 bestehenden gesetzlichen Sicherheitsverordnungen penibler überwacht. Das bedeutet größeren Aufwand für Sicherheitsvorkehrungen, auch auf den Kirmeswagen und im Kirmeszug.
Gesetzliche Regelungen aus dem Jahre 1987
Der SPD-Stadtverband mit seinem Vorsitzenden Klaus Bärenfänger hatte auf Initiative des Gevelsberger Landtagsabgeordneten Hubertus Kramer den innenpolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Thomas Stotko nach Gevelsberg eingeladen. Dieser ging heute Vormittag in einem politischen Frühschoppen im „Hippendorf“ vor Vertretern Gevelsberger Vereine auf die verschärfte Beachtung der Sicherheitsbestimmungen, auch für die Gevelsberger Kirmes, ein. Wohlgemerkt, diese Regelungen gelten seit der 2. Veränderungsverordnung von 1987, die festlegt, dass „alle Fahrzeuge, die baulich verändert wurden oder auf denen Leute sind, von einem amtlich bestellten Sachverständigen (in NRW ausschließlich der TÜV) abgenommen werden müssen.“ Zuvor hatte Jurist Thomas Stotko plastisch das Zustandekommen der Duisburger Katastrophe geschildert und über den aktuellen Stand der staatsanwaltlichen Untersuchungen berichtet.
Verantwortung
Eine Folge von Duisburg sei, dass ab einer Veranstaltungsgröße von 5000 Menschen unter freiem Himmel Behörden und Sicherheitsorgane wie Feuerwehr und Polizei einvernehmlich zustimmen müssen – was in Gevelsberg seit Jahren geschieht. Die Verantwortlichkeit im Kirmeszug liege beim Veranstalter. Die Verantwortung für die Kirmes selbst liegt bei der Stadt. „Wir müssen Sicherheit gewährleisten, aber es kann nicht sein, dass Brauchtumspflege unmöglich gemacht wird“, konstatierte Thomas Stotko. Zu einer Arbeitsgruppe des Ministeriums seien deshalb u. a. Schausteller eingeladen.
Genehmigungsverfahren
Arnim Schäfer, Leiter des Fachbereichs Allgemeine Ordnungsangelegenheiten und Bürgerdienste der Stadt Gevelsberg stellte die verschärfte Situation aus Sicht der Ordnungsbehörde dar. In Folge der Duisburger Ereignisse habe das NRW-Innenministerium die Städte und Kommunen angewiesen, für Großveranstaltungen ein Sicherheitskonzept zu erarbeiten und mit allen beteiligten Stellen einvernehmlich abzustimmen. Die Stadt Gevelsberg habe ihren Antragsvordruck für Veranstaltungen im Hinblick auf mögliche Risiken erweitert: Ob die Veranstaltung auf einem umzäunten Gelände stattfindet, ob Fahrgeschäfte, Bühnen, Zelte oder Aktionsflächen aufgebaut werden, wie viele Besucher erwartet werden und wie dies kontrolliert wird, ob es einen Sicherheits- und Sanitätsdienst gibt. Wichtig, so Arnim Schäfer, sei außerdem ein maßstabsgerechter Lage- oder Bestuhlungsplan. Anhand dieser Unterlagen beurteile das Ordnungsamt, ob Feuerwehr, Polizei, Bauordnungsamt, TBGev, DRK oder ggf. auch der EN-Kreis hinzugezogen werden sollten. Alle Stellungnahmen werden im Bewilligungsverfahren berücksichtigt.
Aufgrund der Größe der Gevelsberger Kirmes, so Arnim Schäfer, verlange der Gesetzgeber ein Sicherheitskonzept, das alle beteiligten Behörden und Verbänden einvernehmlich erarbeiten. Dieses Sicherheitskonzept müsse dem Ennepe-Ruhr-Kreis als Aufsichtsbehörde vier Wochen vor der Veranstaltung vorgelegt werden. Ein solches Konzept werde zur Zeit für die Kirmes erstellt. Arnim Schäfer: „Es wird Aussagen zu den erkannten Risiken, den Aufgaben der einzelnen Beteiligten, den Flucht- und Rettungswegen, zum Kirmeszug und zum Feuerwerk sowie zahlreiche Pläne enthalten.“ Bereits seit 2003 gibt es den Notfallplan zur Gevelsberger Kirmes, der vielen öffentlichen Stellen zur Verfügung gestellt wird, ebenso dem Kirmesverein, der VER und der Kreisleitstelle des EN-Kreises.
Sicherheit gewährleisten und Charakter der Kirmes erhalten
Viele Großveranstaltungen seien nach Duisburg neu überplant worden. Auch zur Gevelsberger „Schiebekirmes“ werde es Veränderungen geben. Arnim Schäfer: „Flucht- und Rettungswege wurden überprüft und ausgeschildert, Engpässe beseitigt, Buden und Stände umgesetzt, um den Besucherstrom flüssig zu halten.“ Für alle Verantwortlichen habe die Schwierigkeit bestanden, ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten, aber auch dem Charakter der Kirmes gerecht zu werden. Die Sicherheit habe aber oberste Priorität.
Angebot der Stadt
Das Gevelsberger Ordnungsamt verstehe sich nicht als „Eingriffsverwaltung“, sondern als Dienstleistungseinrichtung der Stadt für ihre Bürger. „Sicher werden sich Eingriffe in die Rechte Einzelner nicht immer vermeiden lassen, aber im täglichen Miteinander steht für unsere Behörde der Dienstleistungsbereich im Vordergrund,“ forderte Arnim Schäfer auf, sich in Zweifelsfragen an die Stadt zu wenden.
Stadtbrandmeister: Extreme Regulierung kontraproduktiv
Stadtbrandmeister Rüdiger Schäfer, der Freitag die zweithöchste Feuerwehrauszeichnung in Deutschland erhalten hatte, das „Feuerwehrehrenkreuz in Silber“, nahm ebenfalls Stellung zum Kirmesgeschehen in Gevelsberg: „Der verwaltungstechnische Aufwand läuft seit Jahren optimal. Abstimmungen hat es immer gegeben. Die Gefahr ist jetzt, dass wir unsere Veranstaltungen kaputt machen. Die Politik muss aufpassen, dass sie das gesellschaftliche Leben nicht kaputt macht. Im Extrem würde keine Veranstaltung mehr genehmigt, dann gibt es auch keine Gefahr mehr.“ Der Stadtbrandmeister griff als Beispiel ein Extrem auf: „Wenn zu einer Karnevalsveranstaltung am Rhein Brandschutzplanen an Hausfassaden gefordert wurden, wenn ein Kirmesstand davor stand, dann muss auch jedes Auto, das vor einem Haus parkt, mit einer Brandschutzplane abgedeckt wird. Ein Pkw kann auch brennen.“
Steigende Kosten gefährden Kirmes
Die Sichtweise der Kirmesgruppen brachte Michael Sichelschmidt, den Vorsitzenden des Kirmesvereins, in die Diskussion ein. Er verwies darauf, dass bei den großen Umzügen im Rheinland die Kirmeswagen zu 80 Prozent von Künstlern gegen Honorar gebaut würden. In Gevelsberg geschehe dies ehrenamtlich. In Gevelsberg erwarteten die Zuschauer Action auf den Wagen, sie wissen, hier wird ihnen etwas geboten. In den 75 Jahren des Kirmeszuges habe es vor Jahren ein einziges Mal einen tödlichen Unfall gegeben, der aber mit dem Wagenbau nichts zu tun gehabt habe. Sichelschmidt: „Die Leute kommen, weil sie wissen, sie können etwas von uns erwarten. Aber wenn wir nicht kurzfristig das Okay für unsere Wagen bekommen, steht die Sache in Frage.“ Sichelschmidt sprach an, dass die ständig steigenden Auflagen und Gebühren von den Kirmesgruppen nicht mehr geschultert werden könnten.
Um auf Nummer Sicher zu gehen, müsste jede Gruppe für ihren Wagen eine Gefährdungsanalyse in Auftrag geben. Wobei nicht allein dieses Gutachten mit 49 bis 180 Euro pro Stunde Arbeitsleistung zu Buche schlägt, sondern auch noch die eventuellen Veränderungen, die anschließend vorgenommen werden müssten. Da die Kirmesgruppen erfahrungsgemäß schon zwischen 4000 und 14000 Euro in ihren Kirmesauftritt stecken, wären weitere Kosten für einige der in diesem Jahr nur noch zwölf Gruppen nicht mehr zu schultern.
Gutachter will helfen
Ein Angebot hierzu kam von Andreas Richter, der sich als „Gevelsberger von Natur aus“ vorstellte. „Ich bin Gutachter und bereit, in diesem Jahr den Kirmesgruppen kostenfrei zur Verfügung zu stehen. Ein Gutachten ist für die Gruppen letztlich auch eine Versicherungsangelegenheit.“ Andreas Richter betreibt ein Sachverständigen- und Auktions-Büro in der Hagener Straße. Michael Sichelschmidt und der Geschäftsführer des Kirmesvereins, Stefan Oesterling, zeigten sich für dieses Angebot aufgeschlossen. Die endgültige TÜV-Abnahme ist am 18. Juni.
Unsicherheit über das noch Machbare beim Wagenbau
Wie ein Gespenst geht in den Gruppen die Unsicherheit um, was im Wagenbau überhaupt noch geht. Die vom TÜV bemängelten Punkte (Reifen, Brüstung, Bremsen für den 2. Wagen etc.) wurden selbstverständlich akzeptiert, doch was ist mit beweglichen Teilen auf dem Wagen? „Die Frage der Aufbauten muss vor Ort geklärt werden“, stellte Thomas Stotko fest, und erläuterte weiter: „Entweder, Ihr nehmt das Angebot eines Sicherheitsbeauftragten wahr, oder die Aufbauten müssen ggf. anders konzipiert werden. Das ist ein Miteinander vor Ort.“
Aus Erfahrung kannte er die Einwände der Finanzierbarkeit bereits aus anderen Gemeinden und Vereinen und erinnerte daran, dass es all diese Auflagen bereits seit mehr als zwanzig Jahren gebe. Bewegliche Wagenaufbauten habe es auch in Köln und Düsseldorf gegeben, das habe funktioniert. Warum nicht auch in Gevelsberg?
Hubertus Kramer: „Abstriche der Kirmesgruppe würden Zuschauer enttäuschen
MdL Hubertus Kramer machte sich für die Sorgen der Gevelsberger stark: „Die Kirmesgruppen sind erst zwei Monate vor der Veranstaltung mit Auflagen und den neuen Kosten konfrontiert worden. Man muss jetzt genau eruieren, welche Genehmigungen tatsächlich notwendig sind. Ich werde mich hier einsetzen. Es ist zwar nicht mein Bereich, aber es stellt sich auch die Frage, wie kann die Stadt helfen? Wenn unsere Kirmesleute sagen, sie machen Abstriche, wären die Zuschauer betroffen. Das wäre ein massiver Schritt. Doch wenn ich sehe, wie unterstützend Bürgermeister Claus Jacobi sich immer für die Kirmes eingesetzt hat, bin ich sicher, dass es eine Lösung geben wird.“
Gesprächsangebot in Düsseldorf
Referent Thomas Stotko kritisierte zum Schluss der Veranstaltung, dass jedermann sage, wie wichtig Sicherheit sei, doch keiner wolle es bezahlen. Er bot eine Zusammenkunft von Vertretern des Innenministeriums und der Bezirksregierung mit Vertretern der Gevelsberger Kirmes zwischen dem 13. und 15. April in Düsseldorf an, um etwaige Fragen zu klären. Michael Sichelschmidt und Stefan Oesterling bedankten sich für dieses Angebot, wollten aber zunächst ein Gespräch mit der Stadt zu den erforderlichen Auflagen abwarten, das noch in dieser Woche geplant ist. „Mein Angebot steht, ich organisiere die Zusammenkunft. Was aber nur geht, weil Hubertus Kramer die Kontakte herstellt. Wenn Sie zwei Tage vorher sagen, Sie seien jetzt doch auch ohne das Gespräch in Düsseldorf glücklich, ist das kein Problem für mich“, zeigte sich Thomas Stotko offen.