Interview von Radio Ennepe-Ruhr

Wie geht es den Traditionsvereinen im Ennepe-Ruhr-Kreis? Dieser Frage geht Radio Ennepe-Ruhr in dieser Woche nach. Der Lokalsender stellt Vereine von Witten bis Gevelsberg vor. Er geht in seiner Serie besonders auf die Frage des Fortbestands in der weiteren Zukunft ein. Radioreporter Alexander Winkelnkemper sprach im Vereinsheim der Kirmesgruppe „Haufer Jungen“ mit dem Vorsitzenden des Kirmesvereins Michael Sichelschmidt und mit Uwe Oestereich, Vorsitzender der Kirmesgruppe Haufer Jungen. Die „Haufer Jungen“ durchstehen zur Zeit eine existenzielle Krise: Sie stehen im Begriff, sich aufzulösen. Findet sich niemand, der bereit ist den Verein anstelle des amtsmüden Vorsitzenden zu führen, könnte Gevelsberg eine seiner dreizehn Kirmesgruppen verlieren. So stellte sich Uwe Oestereich resigniert als „1. Vorsitzender und Liquidator“ der Haufer Jungen vor. Das Kirmesfieber hat ihn aber doch noch nicht ganz verlassen: „Die Rolling Stones müssen die Veltins-Arena mieten. Nach Gevelsberg kommen am Kirmessonntag 60 000 bis 70 000 Zuschauer, um den Kirmeszug zu sehen“, rückte der Vorsitzende des Haufer Jungen die Gevelsberger Kirmes ins rechte Licht.

Michael Sichelschmidt berichtete vom Beginn des Gevelsberger Kirmeszuges. Als „Wiege“ wird ein Protestzug im Jahre 1924 bezeichnet, der sich gegen eine Verlegung der Kirmes vom Dorf zum Nirgena bzw. zum Rathaus gebildet hatte. Der Kneipenzug aus Protest gefiel so gut, dass er dann jährlich wiederholt wurde, bis sich 1934 daraus der Kirmeszug und schließlich die Kirmesgruppen formierten (siehe auch auf der Homepage Stichwort „Kirmeszug“). Der Kirmeszug bietet um 104 Startnummern, die Darstellungen werden von 13 Kirmesgruppen entworfen und gebaut. Jedes Jahr ab Mitte März, informierte Michael Sichelschmidt den Radioreporter, starten die Gruppen mit dem Bau der Motivwagen. Der Kirmesverein organisiert alles drumherum. Jeden Montagabend, das ganze Jahr hindurch, trifft sich der Vorstand im Kirmesbüro, denn für ihn gibt es auch außerhalb der Kirmeszeit viel zu tun.

Zum Bemühen um die 1935 gegründeten Kirmesgruppe „Haufer Jungen“ erklärte Michael Sichelschmidt, dass auf einer kürzlichen Versammlung einige junge Leute Interesse bekundet hätten, den Verein weiterhin bestehen zu lassen. Sichelschmidt: „Wenn die wirklich mitmachen, wenigstens mit einer Fußgruppe, könnte der Verein eine Zukunft haben.“ Uwe Oestereich verwies darauf, dass in den letzten Jahren zu viel Arbeit auf zu wenigen Schultern gelastet habe: „In der Woche, ab 18 Uhr, waren im letzten Jahr regelmäßig nur zwei Aktive auf dem Bauplatz, einer davon war ich. Manchmal war es auch nur einer. An den Wochenenden bauten wir mit vier bis fünf Leuten. Diesen Arbeitsaufwand schaffe ich nicht mehr.“ Der Vorsitzende der Haufer Jungen führt den Rückgang der Aktiven auf die Wandlung des Stadtbezirks Haufe zurück: „Der Heimatbezirk ist überaltert, es kommen kaum junge Leute her. Früher, als ich eingetreten bin, traf man regelmäßig 10 bis 15 Leute auf dem Bauplatz an. Als ich Vorsitzender wurde, waren es noch acht Aktive. Jetzt gibt es kaum noch Mitglieder mit Kindern oder Heranwachsenden.“ Ja, es sei versäumt worden, Nachwuchs aufzubauen. Aber zusätzlich zum Wagenbau mit nur zwei Leuten oder nur einem Mann in der Woche, sei das nicht zu leisten gewesen.

Radioreporter Alexander Winkelnkemper: „Was kann eine Kirmesgruppe jungen Leuten bieten?

Michael Sichelschmidt: „In unseren Gruppen findet man Gemeinschaftssinn. Es können handwerkliche Fähigkeiten erlernt werden. Man lernt Verantwortung zu übernehmen für die freiwillige Sache und für sich selbst, denn man muss im Interesse aller zuverlässig sein. Natürlich gibt es auch gemütliche Tage mit Spießbraten oder mal einer Kaffeetafel. Gebaut wird zu 80 Prozent unter freiem Himmel.“ Das Problem des Nachwuchses, fügte Michael Sichelschmidt hinzu, sei allgegenwärtig in vielen Vereinen vieler Städte. Deshalb wolle der im Januar neu gewählte Vorstand des Kirmesvereins neue Wege gehen. Gedacht sei an Facebook, um viele Menschen zu erreichen und an einen Tag der offenen Tür bei den Kirmesgruppen. „Alle 13 Gruppen sollten sich überlegen, was sie an diesem Tag den Besuchern bieten wollen. Vielleicht können die Besucher selbst ein wenig mithelfen beim Wagenbau, während ihre Kinder nebenan spielen, oder sie lernen die unterschiedlichen Techniken der Gruppen kennen. Da gibt es viele Möglichkeiten, um miteinander warm zu werden und neue Mitglieder zu gewinnen. Es gibt viele Sparten, die die Kirmesgruppen bedienen, von der 3-D-Zeichnung zum Bau eines Modells, vom Entwerfen und Nähen der Kostüme bis zum Einstudieren der Spökskes auf dem Wagen und auf der Straße. Es gibt Arbeiten am PC, es gilt Feste zu organisieren, der Bierstand braucht Leute, es gibt so viele unterschiedliche Möglichkeiten. Ich bin sicher, wir finden Leute, die sich begeistern können.“

Alexander Winkelnkemper: „Sehen Sie im Hinblick auf die Haufer Jungen eine Grundsatzgefahr für das Gevelsberger Kirmesgeschehen?“ Michael Sichelschmidt: „Wir sind relativ noch im grünen Bereich und ich gehe davon aus, dass wir die Kurve rechtzeitig kriegen. Die Weichen müssen jetzt neu gestellt werden, ehe es zu spät ist. Auf jeden Fall wird man weiter von der Gevelsberger Kirmes und ihren Gruppen hören. Ich habe viele angesprochen, die mithelfen, aber nicht gleich in einen Verein eintreten wollen. Auch das ist ja ein Ansatz.“

Wer jetzt Lust bekommen hat, bei den Haufer Jungen einmal vorbei zu schauen, kann sich gern melden. Entweder direkt bei Uwe Oestereich, Tel.: 02332/12658, oder per Mail beim Vorstand des Kirmesvereins: vorstand@kirmesverein.de

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