„Die Kirmes steht immer an erster Stelle“
Eine große Kirmes-Familie feierte Jubiläum: 75 Jahre Kirmeszug
Schöner geht’s nicht: Die Kirmes-Familie feierte gestern im Zentrum für Kirche und Kultur ein Jubiläum – 75 Jahre Gevelsberger Kirmeszug. Im Mittelpunkt stand ein Vortrag von Fritz Sauer: Die 250 Fotos, mit dem Beamer auf die große Leinwand projiziert, versah er mit ebenso informativen wie launig-lustigen Anmerkungen. Nach zweieinhalb Stunden gab’s für Fritz Sauer, selbst seit über 60 ´Jahren im Kirmesgeschehen aktiv, lange, stürmische Standing Ovations.
Sein uneingeschränktes Bekenntnis zur Kirmes, das die 220 geladenen Festgäste mit donnerndem Applaus quittierten, formulierte Bürgermeister Claus Jacobi so: Gäbe es einen Tunnel, wenn er die Kirmes zerschneiden würde? Nein! Gäbe es die „neue“ Mittelstraße und die Fußgängerzone, wenn der Kirmeszug nicht durchpassen würde? Nein! Muss es denn in Gevelsberg in allen Belangen nach der Kirmes gehen? Ja! Und die Antwort auf eine weitere Frage von Auswärtigen, ob es da keine Ausnahme . . . ? Nein! „Kirmes steht immer an erster Stelle“, sagte Jacobi, „sie ist ein Lebensgefühl.“
Im unlängst vorgelegten Sozial- und Integrationsbericht, so der Bürgermeister, fehle eigentlich ein Kapitel „Kirmes“. Denn sie liefere für die Kinder- und Jugendarbeit einen wichtigen Beitrag, sei ein „identitätsstiftender Integrationsfaktor“. Was auch der Einsatz von Don Cataldo und seiner Italienischen Mission zeige oder die der „Gevelsberger Griechen“ – Spiridon Tsiokas sitze zwar schon einige Zeit im Stadtrat, sei aber nun durch seine Berufung in den Bewertungsausschuss ein „richtiger Gevelsberger“ geworden. Jacobi: „Die Kirmes hätte einen Sozial- und Integrationspreis verdient.“
Begonnen hatte der Tag mit den Klängen der Spielleute-Vereinigung Gevelsberg, dem Einzug der Standartenträger der 13 Kirmesgruppen und einer Rede des Vorsitzenden des Kirmesvereins. Gerd Laake begrüßte Ehrengäste (darunter MdL Hubertus Kramer) und Sponsoren (Schwelmer Brauerei, Radeberger Gruppe, Coca Cola und Stefan Ellinghaus als Hauptsponsor in diesem Jahr), dankte Michael Sichelschmidt und Carsten Neef für die Organisation und Aktiven der Kirmesgruppen Mühlenhämmer, Pinass Brumse und Börkey für die Bewirtung (die übrigens bestens klappte) und nicht zuletzt den Schaustellern, vertreten durch Bernd Alexius – denn „was wäre eine Kirmes ohne sie?“
Zeitgenossen, die den ersten Kirmeszug am Dienstag, 17. Juli 1934, mitgemacht hätten, gebe es wohl nicht mehr, so Laake. Aber drei Urgesteine fehlten gestern nicht: Günther Schüssler von den Fidelen Vogelsangern (70 Jahre im Kirmesgeschehen aktiv) und zwei Börkeyer, die über 60 Jahre dabei sind: Gerd Küper und eben Fritz Sauer. Sie werden beim Kirmesabend besonders geehrt. Eine weitere Jubiläumsfeier „75 Jahre Kirmeszug“ wird es am 24. Oktober geben.
Hans-Heinrich Lesker dankte und lobte namens des Präsidiums des Kirmesvereins kurz, knapp und präzise: Die Kirmes sei ein wesentlicher Teil des gesellschaftlichen Lebens und ein „hervorragender Imageträger für die Stadt“. Landrat Dr. Arnim Brux zitierte Karl Valentin, wonach jedes Ding drei Seiten hat: eine negative, eine positive und eine komische. Er erinnerte an den inoffiziellen ersten Kirmeszug 1924 – aus Protest gegen die Verlegung der Kirmes ging’s damals von Kneipe zu Kneipe. Manchmal, so Brux, sei das Volk eben klüger als die Verwaltung – natürlich nur in der Historie, meinte er schmunzelnd in Richtung Claus Jacobi.
Grußworte sprachen auch Dietmar Thieser vom Hasper Heimat- und Brauchtumverein und die Schwelmer Dacho-Vorsitzende Christiane Sartor. Auch die Voerder Heimatfreunde fehlten nicht unter den Gästen, ebenso wie Vertreter des FSV Gevelsberg, des Silscheder Schützenvereins, der Feuerwehr und der Polizei. Durch den Tag führte Moderator Marc Sense (WDR), der von Gerd Laake erfuhr, dass der Riesenrad-Vertrag für die Kirmes 2009 unterschrieben ist. Für Drehorgelmusik sorgte Ullrich Rostek, zur Kirmes-Stimmung trugen auch Crepes mit Schokoaufstrich und Popcorn bei – zunächst gab es aber eine deftige Gulaschsuppe samt Brötchen.
Dann hatte Fritz Sauer das Wort mit seiner bebilderten „Zeitreise von den Anfängen bis zur Gegenwart“. Das könnten allerdings nur Streiflichter sein: „Sonst sitzen wir noch in der Nacht hier.“ Einen kleinen Vorgeschmack gaben vorab schon die vielen Fotos an den Wänden im Saal des Zentrums. Bilder von den Anfängen 1934 mit dem Brumse-Schiff und „Kapitän Ingenol“ (Günther Gedat von der Gevelsberger Zeitung) riefen ebenso Erinnerungen wach wie Fotos von längst verstorbenen Kirmesaktiven wie Adolf Schlieper. Zu Ansichten der legendären „Fueselkiärmis“ 1949, die erste nach dem Krieg, spendierte der Kirmesvereinsvorstand eine Schnapsrunde – natürlich keinen „Balkenbrand“. Die Majorettes aus der Partnerstadt Vendôme waren ebenso Thema wie die Kirmeszug-Teilnahme des damaligen Bürgermeisters Dr. Klaus Solmecke und seines Vendômer Amtskollegen Daniel Chanet als Clochards oder des langjährigen Hammerschmieds Heinz Fraenz. Zwischendurch gab’s Tanzauftritte der Italienischen Mission und der Griechen, die man ja vom Kirmeszug kennt.
Mit einer imposanten Aufführung der Shaolin Hung Choy endete der Tag für die 220 Gäste, darunter Präsidium, Bewertungsausschuss, Ritter, Freundeskreis, Blaukittelträger und Abordnungen aller 13 Kirmesgruppen – fast. Denn dann sang die Ritterrunde noch „ihr“ Kirmes-Lied, dessen Schluss Motto des Jubiläumstages sein könnte: „Schön ist doch uns’re Welt, wenn man zusammenhält – treu unter Freunden . . .“